DAS UNBEHAGEN EINES BILDERMACHERS

AUSSTELLEN IST FRAGWÜRDIG GEWORDEN -

wo liegt der Hase begraben?

 

Es fehlt nicht an warnenden Signalen; ihr grelles Aufleuchten bringt uns zur Erkenntnis, dass etwas nicht stimmt, nicht mehr mit unseren Vorstellungen übereinstimmt. Seit langem werden im heutigen Kunstbetrieb skeptische Fragen aufgeworfen. 1971 veröffentlichte Konrad Farner sein Essay "Tod der Kunst". Einundzwanzig Jahre später debattieren Kunstverständige und Künstler am Radio FRANCE- CULTURE über das gleiche Thema. Vor drei Jahren wurde die folgende Frage an einem grossen Treffen in APT - Südfrankreich, behandelt: "Peut-on encore entretenir La croyance en l’art?»

Mein Vater hat mir diese Fragen schon vor 40 Jahren anders gestellt: "Was wollt ihr denn eigentlich noch malen, es ist doch alles schon gemacht worden?"

Meine Antwort war damals: "Wenn wir, Menschen von heute, in einer "anderen" Situation sind, dann wird es auch unerwartete Antworten und somit "neue" Bilder geben."

Der Ausstellungsbetrieb hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem grossen Bazar entwickelt: " La Grande Braderie".

Wir müssen die Fragen anders formulieren. Was hindert uns, Gebilde in unserem Sinne zu schaffen? Führen uns die Spezialisten in die Irre, indem sie Stilrichtungen für uns erfinden, um diese international zu propagieren? Sind es die Kunstbürokraten mit ihrem attraktiven Unterhaltungsprogramm, die das Klima vergiften? Oder sind die Kriterien der "Modernen Malerei" fragwürdig geworden?

Eine unerwartete Feststellung hat mir den Star gestochen. Die erste Impressionistenausstellung am 15. April 1874 beim Photographen Nadar war eine Innovation, ein "acte de révolte" gegen die klassizierende Ateliermalerei und die offiziellen Salons. Die erste moderne AUSSTELLUNG wurde da geboren. Diese hatte aber ihren inneren Sinn: Malerei wurde aufgezeigt als Möglichkeit, unsere Welt anders zu sehen.

Das Verhängnisvolle ist, im richtigen Licht gesehen, nicht die Ausstellung an sich, die nur ein temporäres Ereignis eines Bildes sein sollte, sondern heute ist Ausstellen zum Selbstzweck geworden.

Wir Bildermacher sind vielleicht die einzigen, die Fortschritt nicht brauchen. Was hat sich seit der Zeit der Höhlenmaler verändert? Schon vor der Schrift gab es Bildermacher wie es Regenmacher gab, und vielleicht waren die beiden gelegentlich die gleiche Person. Warum trotteln wir wie DIE BLINDEN von Brueghel hinter den modernen
Verführern in den Graben hinein?

Meine Bilder gehören weder in Museen noch in Schalterhallen. Ein Museum ist gut zum Aufbewahren von Steinzeitfunden; Bilder werden zu Versteinerungen. Das Schneckenhaus, zum Schutze eines Lebewesens, ist versteinert nur noch ein Schaustück - eben noch gut für ein Museum. Dieses ersetzt Kirchen und Kathedralen. Direktoren amtieren als Priester. Man hat uns den Titel "KÜNSTLER" verliehen; wir geniessen Narrenfreiheit und werden somit unschädlich gemacht.

Vor meiner Staffelei bin ich Beobachter und muss eingreifen in das Geschehen; ich bin somit auch "agitateur".
"Nicht standesgemäss" nennt Edgar Reitz seine filmische Karriere; ich erlaube mir, diesen Begriff auszuleihen.

Meine Bilder haben keinen materiellen Wert - der Sinn erfüllt sich beim Malen. Es gibt keine ideale Beleuchtung. Der Tag verändert das Sichtbare. Kein Lichteinfall ist der RICHTIGE, nur eine möglichkeit. Zu dieser Einmaligkeit gehört auch das Zwiegespräch mit dem Betrachter, mit ihm, dem Einzelnen.
Der Maler an der Staffelei hat einen günstigen Beobachtungsposten. Einzelne Bilder habe ich 10 Jahre lang immer wieder weitergeführt; gleichzeitig veränderte sich die Welt und ich mich damit.

Malen aus Trotz?

Meine Bilder sind keine Herdentiere - sie leben ungern im Rudel. Sie verlieren ihren Sinn und ihr Wesen an Massenveranstaltungen. (beim AUS-STELLEN und HINAUSSTELLEN)
Es liegt eben nicht ausschliesslich an der Form; sollen wir die GUTE FORM zu Grabe tragen wie unser gutes Gewissen?

Die MODERNE MALEREI hat bei ihrer Entstehung das Formale aufgewertet. Das Anekdotische, Sentimentale und Literarische hatte sich im 19. Jahrhundert buhlerisch in den Vordergrund gedrängt. Die Photographie hat der Malerei einen wichtigen Dienst geleistet; sie hat die Aufgabe übernommen, das kurzlebige Ereignis zu feiern.

Die Enkel und die Lehrlinge der Moderne haben in massloser Überheblichkeit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und ihr Erbe verhurt (übrigens auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens).
Einst als junger Maler in Basel war ich stolz, ein moderner Maler zu sein, im Gegensatze zu den traditionellen "Figurativen" waren wir die Fortschrittlichen.

Lang, lang ist's her.

Die geliebten Grossväter sind längst gestorben.

Niklas Lumann schreibt 1991: "Vielleicht hatte das Stichwortder Postmoderne nur eine andere variantenreichere Beschreibung der Moderne versprechen wollen, die ihre eigene Einheit nur noch negativ vorstellen kann als Unmöglichkeit eines métarécit.(...)"*

Mir ist klar geworden, und es zeigt sich immer deutlicher:

Die Moderne Zeit geht zu Ende.

Der Untergang der Titanic...

unsere Welt zerbröckelt: Das System ist unglaubwürdig geworden.

 

Haarspaltereien?

Liegt es an der Vokabel?

Semantische Entscheidungen haben eben doch ihre Bedeutung. Wenn ich mich nicht mehr als "moderner" Maler erkenne und auch nicht als Antikus, dann gelten für mich eben die heutigen Kriterien nicht mehr.

Ich verlasse einen bekannten Raum und stehe in einer unbehausten Lichtung, "...ein blinder Wanderer, der den Fluss jenseits eines nicht allzu dichten Waldes erreichen möchte, kann zwischen den Bäumen viele Wege finden...." **

 

Es liegt nicht an uns, Namen für noch undefinierte Räume zu erfinden.


Theo Gerber
Le Tourel, 1. Mai 1993, 18 h 30

trübes Wetter, bald wird es regnen.


* Niklas Lumann: BEOBACHTUNGEN DER MODERNE, Westdeutscher Verlag
** Das metaphorische Bild ist Ernst von Glasersfeld entliehen.