Aus: La Quinzaine Littéraire, Paris, April 1995

 

Theo Gerber: „Die dringliche Malerei"

 

Theo Gerber steht selten im Rampenlicht. Von Zeit zu Zeit stellt er in Paris aus. Er wurde von José Pierre gefördert. Obwohl Surrealist, ist er Breton nie begegnet. Über Dali sagt er nichts Schlechtes, nachdem er ihm in Port Lligat begegnet war. 1928 geboren, entgeht dieser Schweizer jeglicher Klassifizierung .

 

von Georges Raillard

 

1952 gründet Theo Gerber in Basel die Bewegung „Ulysses": Nach dem Seefahrer benannt, ist sie ein Programm von - wirklichen und imaginierten - Reisen. Er sucht Cézannes Geheimnis und gelangt einmal bis zum Pastiche. Aber seine „Wahrheit in der Malerei" - welche Cézanne auszudrücken versprach - ist in seinen Augen untrennbar eine malerische und menschliche Wahrheit.

Keinerlei Unterwerfung unter eine Formel. Die Ausstellung in Aix beweist dies. Seine Lebensmaxime ist auch seine Kunstmaxime: „Früh in meinem Leben erwachte ein Misstrauen gegenüber jeglicher Form von Unterdrückung." Und so wandte er dem von Zwängen beherrschten Europa den Rücken zu und ging nach Afrika, zum. Volk der Dogon. Zu ihnen spürt er eine tiefe Gefühlsverwandtschaft. Dieses „Land" steht mit dem seinen in Verbindung. Vom einen zum andern entsteht ein "windungsreicher" Austausch, in dem sich Gerbers Labyrinth bildet und löst.

Sämtliche Werke Gerbers sind Abzüge dieses Labyrinths. Sie zeichnen nach, was ihn bewegt, was ihn empört, verleihen ihm Glanz und Tiefe - wie wenn Correggios Licht um sich selbst kreisen würde. Bis zur immer wiederkehrenden Entdeckung der Welt als Labyrinth. Diese tausend Wege laufen zusammen zum Gedanken Giordano Brunos, der ihm wichtig ist: „Wer die Einheit nicht versteht, versteht nichts, und umgekehrt: Wer das eine versteht, versteht alles. Wer der geistigen Einsicht des einen näher kommt, ist auf dem Weg zur Erfassung der Gesamtheit."

Nichts darf von diesem Ganzen abgezogen, ausgeschlossen, verbannt werden. Daher ist Theo Gerber seit Jahren „auf dem Weg nach Azania". Dieser schwarze Kontinent ist ihm

lebensnotwendig geworden. Er integrierte sich darin, einverleibte ihn sich sozusagen. „Auf dem Weg nach Azania", verstanden als Aufforderung zur Reise, lieferte den Titel einer Publikation, in der Erzählungen, Gedichte, Tagebuchaufzeichnungen und ein Anathem berichten, wie Soweto einst war. Er in Soweto, Soweto in ihm. Traum und Wirklichkeit in Bewegung: „Meine Einbildungskraft verkörperlichte sich, das Gefühl der Verbannung war verschwunden. Das Tor nach dem Süden geöffnet."

Theo Gerber lebt in Südfrankreich. Er hat sich in einem ehemaligen Kloster eingerichtet, das er dem Verfall entrissen hat. An der Mauer eines grossen Saals hängt ein grosses Panneau mit einer Vielzahl von Gemälden identischen Formats. Sie stammen von allen Malern, die Gerber mobilisiert hatte, um durch den Protest der Malerei die Freilassung von verhafteten jungen Bewohnern Sowetos zu erreichen: Lauter kleine Lebensräume, die es zu gewinnen gilt.

Dieses Panneau wird nach Azania reisen, ins „Land der Schwarzen". Ein Spruch aus der Antike besagt: „Alles was geheimnisvoll, mystisch, wild und schwer fassbar ist, sowie alles, was man nicht erobern und kontrollieren kann, wird als SCHWARZ bezeichnet, als Schwarz wie die tiefe Nacht."

In Soweto, wie anderswo auch, hört Gerbers Werk nicht auf, die tiefe Nacht zu bewegen. Getreu der Mahnung, die er bei Picabia fand: „Wer von der Freude an der Malerei spricht, liebt sie nicht. Die Malerei zu lieben bedeutet, sie als dringlich zu spüren, sich selbst also in einem dauernden Provisorium zu fühlen."