T heo Gerbers Bilder haben Atem und Fluss der Endloserzählung oder der unaufhörlichen Figuration, wenn nicht Fortpflanzung; eines züngelt aus dem anderen und zerstiebt in tau senderlei Verästelung, Mutation, Metamorphose, schillernd in allen Farben der Seifenblase und ebenso ungreifbar wie diese. Er schaut immerzu in den Spiegel oder Himmel seines phantastischen Alls, ein unermüdlicher Kreator der eigenen Genesis.

Und wir blicken in diese Wolkengebilde und wolkigen Geschichten wie auf seltsame Land karten und Globen und bereisen sie wie der Entdeckungsreisende die unerforschten Länder, um uns zu verlieren und an erstaunlichen Orten wiederzufinden. Reisend und forschend bevölkern wir die wolkigen Räume mit überraschen dem Inventar. Ist es Entdeckung, Dechiffrierung, was wir betreiben? Oder erliegen wir bei der Besichtigung unserem eigenen Wahn? Sicher ist, dass wir entführt werden, aber wohin? Was ist Schöpfung und was Einladung zum Traum? – Falle? Alles fliesst. Alles scheint bedeutungsvoll und gleichzeitig leer. Doch ist nicht auch der Himmel nur eine grosse Leere, die uns das zurückwirft, was wir an Hoffnung, Glauben und Ängsten, an Seligkeit, Sehnsucht hineinlegen und hinaufprojizieren? Wo endet die «Wirklichkeit» und beginnt die Einbildung?

Nur das Imaginierte triumphiert letztenendes, alles andere verweht. Oder anders: die Welt ist so gross oder nichtig, wie wir sie zu imaginieren, zu illuminieren vermögen. Und Theo Gerber ist ein Mensch, der ganz lm Imaginieren und fortspinnenden Erfinden aufgeht. Er spinnt sein Garn über zahllose Papiere, pausenlos, jahrein jahraus. Ein Spinner –

Als ob er sich diese Frage selber stellte, sich­tet er in dem vorliegenden Buch Zeichnungen und Gekritzel von den ersten Anfängen bis auf den heutigen Tag. Er beugt sich als sein eigener Spurensucher darüber, von der Frage bewegt: woher kommt das, komme ich? Kann ich, der Luftschiffer auf dem fliegenden Teppich der Phantasie, in den vielen «Ansichten» die eigene kleine biographische Figur, also das persönliche Movens ausfindig machen? Woher stammt die Phantasie, stammt der Bilderschatz? Was sind meine Ursprünge, Herkünfte? Es steckt ein bisschen psychoanalytisches und ein bisschen archäologisches Interesse in diesem Unternehmen, auch der Geschmack an Ahnenforschung, Rätselraten, Bilanz. Vor allem Mythomanie.

Das Instrument dieser neuerlichen Beschäftigung ist die Sprache. Er setzt sich vor seine Zeichnungen und notiert assoziierend, was ihm dabei durch den Kopf geht. Es kann das Kleine, das Winzige, das Vergessene, Verdrängte, ein Satz aus dem Munde des Großvaters, ein urbildlicher Eindruck des Niesen, Angedachtes, auf Reisen Erschautes, der Bordellzimmerbesuch des jungen Mannes in Florent, die Alptraumsekunde einer versunkenen Nacht, das grosse Ahnen in Afrika, es können Begegnungen, Schlüsselworte aus Lektüren, Stichflammen jeglicher Art sein: kleine sprachliche Funde, an welchen er das autobiographische und schöpferische Ich ans Licht zu ziehen versucht. Dabei kommt er ins Fabulieren, Sinnieren, Räsonieren. Der Versuch lässt sich als Schnitzeljagd nach den Quellen der künstlerischen Stoffe begreifen.

Er müsste, wollte er daraus einen Schluss zie hen, bekennen: Ich bin der Süden und der Nor den, ich bin Afrika und Hammerfest, ich bin mein Grossvater und meine Tochter, ich bin alles, was mir durch den Kopf geht, weil es mir sonst nicht hätte einfallen können. «Ich» bin ein Reigen aus Vielem und Fernstem, ein Unendliches, der Fremde bin ich. Und indem ich es mit meinem Pinsel und durch meine Feder ausfliessen lasse und figuriere, werde ich mir und den andern vorübergehend sichtbar und ansichtig. Aber ich kann mich nicht «haben». Auch durch Worte nicht

Die Texte, die die Abbildungen begleiten, sind beileibe keine deckenden Begriffe und gewiss kein begrifflicher Ersatz. Sie sind ein Seitenwagen zum anderen Gefährt. Die Entdeckungsreise geht weiter. Betrachter und Leser haben das Vergnügen.

 

©Paul Nizon